Johanna Adorján: Eine exklusive Liebe (1000 Bücher: 6)
Johanna Adorján: Eine exklusive Liebe, München 2009.
Am 13. Oktober 1991 brachten meine Großeltern sich um.
Das ist der Paukenschlag, mit dem die Journalistin Johanna Adorján ihr Buch anfängen lässt. Sie erzählt, was ihre Großeltern, Vera und Istvan, am letzten Tag ihres Lebens gemacht haben, was und wie sie miteinander gesprochen haben, wie sie sich auf die technische Durchführung des Selbstmordes vorbereiteten und gleichzeitig ihre Dinge ordneten für die Zeit danach: Der Hund wird (unter einem Vorwand) zu einem befreundeten Ehepaar gebracht, es wird ein Kuchen gebacken für die Kinder und Enkel (zu Weihnachten), außerdem Geschenke gepackt für die Familie. Der todkranke Istvan, Arzt, ist damit beschäftigt, hunderte von Schlafmittelkapseln aufzuschneiden und den Wirkstoff zu entnehmen, damit er am Abend, mit Wasser geschluckt, schneller wirkt als in der Gelatinekapsel.
In Rückblenden, die sich in die fiktive Erzählung dieses letzten Tages schieben, setzt Adorján das Leben der beiden kriminalistisch-akkurat zusammen. Beide stammen aus dem jüdischen Großbürgertum Budapests. Die Verfolgung durch die Nazis überleben sie, wenn auch knapp – Istvan war im KZ, als der Krieg endete. Nach dem Krieg arrangiert man sich mit den neuen Umständen, wird Sozialist aus Pragmatismus, nicht aus Überzeugung. 1956 schließlich, nachdem der Aufstand Anfang November gescheitert ist, fliehen sie (mit den Kindern) über die Grenze nach Österreich und beginnen schließlich ein neues Leben in einem Vorort von Kopenhagen.
Diese Geschichte einer jüdischen Familie bildet den roten Faden, der sich durch die Erzählung Adorjáns zieht. Vordergründig rekonstruiert sie Leben und Sterben ihrer Großeltern, besucht deren noch lebende Bekannte, fährt zu den Schauplätzen ihres Lebens, forscht in dem kümmerlichen Nachlaß. Eigentlich aber ist Adorján auf der Suche nach ihren eigenen ungarisch-jüdischen Wurzeln, nach einem verschütteten Teil ihrer Identität. Sie ärgert sich darüber, dass sie kaum ein Wort ungarisch versteht. Sie wirft ihren Großeltern nicht vor, dass sie sich umgebracht haben – dafür äußert sie sogar beim Besuch eines Pflegeheims Verständnis – aber sie ist ihnen böse, weil sie ihr jüdisches Erbe nicht weitergegeben haben in der Familie, dass eine lange Tradition abgerissen ist.
Johanna Adorján ist ein gleichzeitig sehr nüchternes und sehr bewegendes Buch gelungen. Sie richtet nicht über ihre Großeltern, erhebt keine Besitzansprüche auf ihre Lebensgeschichte. Erst dieser Respekt Adorjáns vor ihren Großeltern gibt der Collage die ungeheure Tragkraft, die sie auf jeder einzelnen Seite besitzt.
veröffentlicht am 3. March 2009 um 12.05 Uhr
in Kategorie: 1000 Bücher, Journal