Alexander Hohenstein: Wartheländisches Tagebuch 1941/42 (1000 Bücher: 10)

Alexander Hohenstein: Wartheländisches Tagebuch 1941/42, München 1963.

Der unter Pseudonym schreibende Verfasser wurde Ende 1940 aus dem “Altreich” strafversetzt ins Wartheland: Denjenigen Teil des besetzten Polens, den die Deutschen germanisieren und dem Reich vollkommen anschließen wollten. Hohenstein wird in einer Kleinstadt als Bürgermeister eingesetzt. Er ist dem Nationalsozialismus durchaus nicht feindlich gesinnt, ist Parteimitglied. Dennoch legt er sich wegen seiner gegenüber Polen und Juden menschlich einigermaßen korrekten Amtsführung im Laufe des Jahres 1941 heftig mit seinen Vorgesetzten, insbesondere mit der NSDAP, an, entgeht knapp einer Verurteilung, wird schließlich entlassen und muss das Wartheland verlassen.

Hohensteins Tagebuchaufzeichnungen sind aus mehreren Gründen interessant. Zum einen wird hier auf der lokalen Ebene im “Osten” deutlich, wie die Besetzung Polens funktionierte, wie arrogant die Deutschen gegenüber dem besiegten Volk auftraten, wie willkürlich die Unterscheidung zwischen Polen und begünstigten “Volksdeutschen” gezogen wurde und welche drastischen Konsequenzen daran hingen. Im Wartheland versuchte sich das III. Reich an einer Kolonialpolitik der unappetitlichsten Sorte.

Zum zweiten beschreibt Hohenstein sehr anschaulich die Freiräume und Begrenzungen eines Parteifunktionärs auf niederer Ebene. Weit weg von Hitlers Reichskanzlei sind es sehr unangenehme Gestalten, die im Namen der NSDAP auftreten und Autorität ausüben. Der Staat, den Hohenstein als gewissenhafter Verwaltungsbeamter vertritt, ist von der Partei kolonialisiert worden.

Zum dritten schließlich liefert Hohenstein ein bedrückendes Bild davon, wie in einer polnischen Stadt der Holocaust ablief. Der Kontakt Hohensteins zu den bereits im Ghetto lebenden Juden der Stadt zieht sich wie ein roter Faden durch den Band, bevor – während Hohenstein im Urlaub war – die Juden grausam deportiert und bald darauf ermordet wurden. Gleichzeitig zeigt sich, dass Hohenstein selbst zwar erschüttert ist ob dieses Verbrechens, aber nicht die Dimension und die Konsequenzen begreift. Auch nach dem Verschwinden der Juden herrscht Business as Usual, und bei der Abreise aus dem Wartheland verliert Hohenstein über ihre Tötung kein Wort.

Auch wenn autobiografische Berichte immer mit einer gewissen Skepsis zu lesen sind, so handelt es sich doch bei Hohensteins Buch um einen Bericht, der auf ganz praktischer Ebene verständlicher macht, wie das nationalsozialistische Regime funktionieren konnte.

veröffentlicht am 21. August 2009 um 13.05 Uhr
in Kategorie: 1000 Bücher

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