Friedrich Dürrenmatt: Das Versprechen. Requiem auf den Kriminalroman, Zürich 1958.
“Das Versprechen” ist ein verstörendes Buch, weil die Erwartung des Lesers an einen Kriminalroman – Gerechtigkeit – nicht erfüllt wird. Am Ende, so erfährt man durch die vorgeschaltete Rahmenhandlung schon gleich am Anfang, scheitert Kommissar Matthäi und findet den Mörder nicht, und scheitert zudem auch persönlich an diesem letzten Fall seiner Karriere.
Es geht um eine Mordserie an kleinen Mädchen. Ein Mann hatte sich offenbar mit kleinen Geschenken das Vertrauen der Kinder erschlichen und sie dann schließlich ermordet. Im neuesten Fall dieser Mordserie ist ein Täter in Form eines vorbestraften und geständigen Hausierers schnell zur Hand. (Auch ihm widerfährt übrigens keine Gerechtigkeit.) Doch Matthäi glaubt nicht an dessen Schuld und sucht, gegen den Widerstand seines Vorgesetzten und seiner Kollegen, weiter nach dem Täter, wobei er seine ganze Karriere riskiert und schließlich alles verliert. Dürrenmatt erzählt diese Geschichte sehr unprätentiös und ruhig. Am Ende, wenn man gar nicht mehr damit rechnet, erfährt zumindest der Leser die Wahrheit.
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Wibke Bruhns: Meines Vaters Land. Geschichte einer deutschen Familie, Berlin 2004.
Wibke Bruhns Vater, Hans Georg Klamroth, Reserveoffizier der Wehrmacht, wurde am 26. August 1944 hingerichtet, weil er vom gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wusste, aber nichts dagegen unternommen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war Bruhns noch ein kleines Kind; sie hat keinerlei Erinnerung an ihren Vater. In diesem Buch versucht sie, die Geschichte ihrer Familie und ihres Vaters aufzuarbeiten.
Bruhns setzt früh an. Die Familiengeschichte des Halberstädter Klamroth-Clans ist offenbar seit Mitte des 19. Jahrhunderts gut überliefert, und Bruhns erzählt somit nicht nur die Geschichte von Hans Georg (den sie “HG” nennt), sondern auch schon von dessen Vater – ihrem Großvater – Kurt. Somit liegt der Fokus gar nicht, wie man vielleicht vermuten mag, auf dem Zweiten Weltkrieg und der Hinrichtung des Vaters. Der Zweite Weltkrieg wird kaum umfangreicher beschrieben als der Erste.
Dieses Gleichgewicht ist die Stärke des Buches. Nach und nach verdichtet sich die Erzählung Bruhns zu einem Sittengemälde einer deutschen Familie des gehobenen Bürgertums, ihrer Verwicklung in die deutsche Geschichte, ihrer Mitschuld an Nationalsozialismus und Holocaust.
Eine Eigenschaft des Buches, die man als Schwäche verstehen kann, ist es hingegen, dass Bruhns sehr vieles, was sie über ihre Vorfahren berichtet, kommentieren oder verurteilen muss. Dadurch nimmt sie dem Erzählten einen Teil der Wirkung, die ohne diese Kommentare und Verurteilungen ungleich stärker gewesen wäre. Gleichzeitig macht dieses Sich-in-Beziehung-Setzen zur eigenen Familiengeschichte natürlich das Hauptanliegen der Autorin aus. Sie will nicht nur berichten, sie will verstehen und sie will werten. Am Ende ist Bruhns doppelt betrogen worden um ihren Vater. Weder war er im Widerstand tätig, noch hat er den Nationalsozialismus überlebt.
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23.12.2008, 19.00 Uhr, Cinemaxx Kiel (Saal 2), 5,00 €
Schon vor ein paar Wochen habe ich (mit M.) diese Woody-Allen-Komödie gesehen. Eigentlich wollte ich schon früher darüber schreiben, aber irgendwie fiel mir nichts Schreibenswertes ein. Der Film an sich ist ebenso seicht wie unterhaltsam: Zwei amerikanische Studentinnen kommen für einen Sommer nach Barcelona und lernen dort den feurig-klischeehaften Künstler Juan Antonio (Javier Bardem) kennen. Man sieht sich den Film schon deswegen gerne an, weil er im sommerlich-sonnigen Barcelona und nicht im winterlich-kaltfeuchten Kiel spielt. Scarlett Johansson (Cristina) bleibt hinter ihren Möglichkeiten zurück, was aber wohl auch am Drehbuch von Woody Allen liegt, der auch schon raffiniertere Filme gemacht hat. Rebecca Hall (Vicky) ist gut, weil ihre Rolle weit interessanter ist als die von Johansson. Am besten ist zweifelsohne Penélope Cruz, die die Ex-Frau (María Elena) von Juan Antonio spielt.
Das eigentliche Problem des Films ist, dass er sich nicht so recht entscheiden kann, ob er das, was er erzählt, ernst nimmt oder nicht. Etwas Distanzierung findet statt in der Form eines Erzählers, der in nervigem Tonfall dem Zuschauer erzählt, was er sowieso schon sieht. Mitunter hat man das Gefühl, gerade an den Stellen zu lachen, wo Woody Allen es eigentlich nicht komisch, sondern ernst meinte.
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04.01.2009, 18.45 Uhr, Traum-Kino Kiel (Saal 2), 4,00 €
Schon vor ein paar Monaten hatte ich hier etwas über den “permanenten Kriegszustand” geschrieben, in dem sich Israel seit Jahrzehnten befindet: Rutu Modan war in sehr subtiler Art und Weise in ihrer Graphic Novel “Exit Wounds” damit umgegangen. Gestern habe ich nun (mit J. und N.) den animierten Film “Waltz with Bashir” gesehen, der das Thema viel direkter angeht. Der Regisseur und Erzähler, Ari Folman, hat einen “Dokumentarfilm im Zeichentrickgewand” gedreht, in dem er sich der verlorengegangenen Erinnerung an seinen Militärdienst widmet und stückchenweise, mit der Hilfe der Erinnerungen damaliger Kameraden und Zeitzeugen, rekonstruiert, was er damals während des Libanonkrieges 1982 erlebt hat.
In Europa kennen wir Krieg nur aus der Erinnerung unserer Eltern und Großeltern und aus dem Fernsehen. Wer sich in die Lage versetzen will zu erfahren, wie sich Krieg wirklich anfühlt, dem sei “Waltz with Bashir” empfohlen. Der Film zeigt anhand der Gesprächspartner eindrücklich, wie die israelischen Soldaten auch noch Jahrzehnte später unter der psychologischen Belastung ihrer Erlebnisse leiden. Gleichzeitig wird dabei nie geleugnet, dass der Krieg für die Libanesen ebenso traumatisierend war – die Darstellung des Massakers von Sabra und Schatila, das die israelischen Truppen im Libanon geduldet haben, gehört wohl zu den drastischsten Dingen, die jemals in Trickfilmform dargestellt worden sind: “Alles, was man sieht, ist erfunden – gezeichnet, koloriert -, aber nichts ist fiktiv.” Am Ende blendet der Trickfilm über zu Echtfilm-Material von Angehörigen, die nach dem Massaker um ihre ermordeten Verwandten trauern. Bis hierhin hat der Kunstgriff, das Geschehen als ästhetisierenden Trickfilm zu zeigen, funktioniert, doch am Ende schlägt die Grausamkeit des Krieges voll auf den Betrachter durch und lässt ihn während des Abspanns einigermaßen ratlos zurück.
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Rathaus Basel (Detail)
Ich wünsche allen Lesern ein frohes Weihnachtsfest.
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Vor ein paar Tagen bekam ich eine alte Junghans-Kaminsims-Uhr mit Schlagwerk, die die letzten dreißig Jahre bei meinen Eltern in Schmalenstedt auf dem Kleiderschrank ein klägliches Dasein fristete und der sonst die Ebay-Versteigerung drohte. Jetzt steht sie hier in Kiel in der Küche und erfreut uns durch ihren harmonischen Schlag zur halben und vollen Stunde. M. ist noch etwas skeptisch ob der Musik und vor allem ob des “bösartigen Getickes”, aber ich finde, es macht die Wohnung gleich doppelt so wohnlich.
Ding-dong
Interessant ist nur, dass mich die Harmonie des Schlags immer an den Anfang des Kyrie aus der Dvorák-Messe in D-Dur erinnert, die ich im letzten Semester in der Studentenkantorei der Uni Kiel mitgesungen habe…
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Früher, in den Achtzigern, war alles besser. Twix hieß noch Raider und die Linkspartei noch SED. Und Eichhörnchen waren noch echte Eichhörnchen.
Obwohl es eigentlich nur ein Dorf ist, gab es in Schmalenstedt nie viele Eichhörnchen zu sehen. Die Tiere waren ebenso schreckhaft wie scheu und als Kinder freuten wir uns, wenn wir mal eins sahen. Jetzt wohne ich in der famosen Großstadt Kiel und die Viecher sind auf einmal ebenso abundant wie frech:
Gestatten, mein Name ist Horn, Eich Horn.
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Was soll man eigentlich davon halten, wenn einem die Familie eine Postkarte aus dem Berchtesgadener Land schickt mit dem Text: “Diese herrliche Gegend hat auch schon anderen gefallen”?
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Excess Baggage Ticket
Gewicht des Koffers: 28 kg
Freigepäck: 20 kg
Übergewicht: 8 kg
Transportgebühr Übergewicht/Kilo: 10,00 €
Aua.
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Im November 2005 war ich mit dem Auto in England unterwegs und hatte irgendwo auf dem Lande ein Travelodge-Motelzimmer gebucht, eine der günstigsten Arten, um auf der Insel einigermaßen decently zu übernachten. Mit Hilfe der Wegbeschreibung dort angekommen, fiel mir schon auf, dass an dem Gebäude kein “Travelodge”-Schild mehr angebracht war. An der Rezeption teilte mir eine vergnügte Engländerin mit, dass das Motel in ein paar Tagen geschlossen werde. Warmes Wasser gebe es auch nicht und Strom sei auch so eine Sache. “We’re in Limboland” lautete ihre zusammenfassende Beurteilung der Lage. Der Begriff hat einen durchaus ernsthaften theologischen Hintergrund; irgendwie zweifle ich jedoch daran, dass er dieser Engländerin bekannt war.
An diesem Wochenende bin ich wieder im Limboland. Das Programm am Parlament ist seit gestern beendet, der Rückflug nach Deutschland ist erst am Montag. Halb hier, halb da. Irgendwie sehr unbefriedigend, vor allem, weil es draußen den ganzen Tag regnet.
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